Die unglaubliche Reise des Smithy Ide

Ein Buch geschenkt zu bekommen, ist in etwa so, wie ein Parfüm geschenkt zu bekommen. Es ist ein Risiko! Ein Parfüm kann ganz gut auf dem Teststreifen riechen, aber tut es das auch auf meiner Haut? Ein Buch kann ganz interessant aufgemacht sein, aber wird mich sein Inhalt beim Lesen wirklich faszinieren?

Also ich bin das Risiko eingegangen und habe das mir geschenkte Buch „Die unglaubliche Reise des Smithy Ide“ aufgeschlagen und angefangen zu lesen …

Es hat mich schnell eingesogen, denn wer könnte sich nicht mit der Hauptfigur Smithy identifizieren. Smithy ist über die Jahre bequem und unzufrieden geworden, von Selbstzweifeln geplagt und hat sich scheinbar in sein Schicksal ergeben …

Der fast gleichzeitige Tod seiner Eltern und seiner Schwester Bethany reißen ihn aus seinem Trott. Er tritt eine skurrile Reise an …

Falls Sie Lust haben auf ein zutiefst menschliches Abenteuer, lassen sie sich dieses Buch doch einfach schenken und lesen Sie selbst! Es ist (k)ein Risiko!


Genre: Romane
Illustrated by Goldmann München

Der Stimmenimitator

Ursprünglich nannte Thomas Bernhard seine Sammlung kurzer Prosatexte, die heute den Titel »Der Stimmenimitator« trägt, »Wahrscheinliches – Unwahrscheinliches«. Der Originaltitel beschreibt ziemlich genau das, was das Wesen der Veröffentlichung kennzeichnet: Es handelt sich um rund einhundert Texte im Stil lokaler Pressenachrichten, die ebenso wahrscheinlich wie unwahrscheinlich klingen.

Sachlich wird berichtet von denkbaren und undenkbaren, von möglichen und unmöglichen Ereignissen, die der Autor blitzlichtartig aufnimmt und wiedergibt. Fast immer münden die Kurzberichte im Unglück, und die Trennwand zwischen Komödie und Tragödie ist hauchdünn.

Bernhards Hauptfiguren sind Höhlenforscher, Professoren, Bürgermeister, Feuerwehrleute, Dompteure, Schauspieler, Wahrsager, Postboten, Chorknaben, Bankangestellte und Präsidenten. Es sind recht unterschiedliche Gestalten. Manche Berichte lesen sich wie Anekdoten, manche werden zur Parabel für die Zeit, in der wir leben. Immer aber scheinen die Ereignisse eindringlich und unausweichlich auf ein Ende zuzustreben, das zufällige Unglück wird notwendig, der Tod unumgänglich.

Ein Schauspieler verkörpert die Rolle des bösen Zauberers in einem Kinderstück so überzeugend, dass die kleinen Zuschauer die Bühne stürmen und ihn zu Tode trampeln. Zwei Herren füttern im Tierpark Schönbrunn die Affen, bis die Tiere die Futterreste sammeln und es den Zoobesuchern durch das Gitter hinaus reichen, die darauf entsetzt dem Tiergarten entfliehen. Höhlenforscher kehren aus einer unerschlossenen Höhle nicht zurück, Rettungsmannschaften werden ausgeschickt, bleiben aber ebenfalls verschollen, worauf die Behörde den Höhleneingang zumauern lässt.

Ein Denker tauscht mit dem Wirt eines vorzüglichen Gasthauses die Rollen, worauf naturgemäß weder Wirt noch Denker in ihren neuen Rollen funktionieren. Die Bürgermeister von Pisa und Venedig landen in ihren jeweiligen städtischen Irrenhäusern, weil sie, um die Touristen vor den Kopf zu stoßen, heimlich den schiefen Turm von Pisa mit dem Campanile von Venedig tauschen wollen.

Zum engen Wechselspiel von Tragödie und Komödie sagt Bernhard selbst: »Man kann in Verzweiflung, sage ich, gleich, wo man ist, gleich, wo man sich aufhalten muss in dieser Welt, von einem Augenblick auf den anderen aus der Tragödie (in der man ist) in das Lustspiel eintreten (in dem man ist), umgekehrt jederzeit aus dem Lustspiel (in dem man ist) in die Tragödie (in der man ist).«

Die feine Textsammlung eignet sich vorzüglich, um in die Gedankenwelt Bernhards einzusteigen.


Genre: Kurzprosa
Illustrated by Suhrkamp Frankfurt am Main

Eine Frage der Zeit

Die Geschichte beginnt kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als die Kaiserliche Kolonialverwaltung bei der Papenburger Meyer-Werft ein Schiff bestellt. Sinn und Zweck dieses Schiffes, der “Götzen”, ist es, direkt nach der Fertigstellung im November 1913 wieder auseinander genommen zu werden, in einige tausend Kisten verpackt und auf dem Land- und Seeweg nach Afrika verschickt zu werden. Dort soll es in Kigoma am Tanganikasee erneut zusammen gebaut werden. Danach soll es durch seine Präsenz mithelfen, die kaiserlichen Kolonialinteressen in dem von Belgiern und Briten beherrschten Gebiet sicherzustellen.

Begleitet und zusammengebaut wird die “Götzen” von den drei Papenburger Schiffbauern Anton Rüter, Hermann Wendt und Rudolf Tellmann. Mit Freude gehen die Drei an ihre Arbeit, denn je früher die “Götzen” zusammengebaut ist, um so schneller ist man wieder in der Heimat. Abseits des kolonialen Alltags gewinnen sie Freunde unter den Einheimischen und genießen ihr Leben in Deutsch-Ostafrika. Das alles endet am 1. August 1914, als das Deutsche Reich in den Krieg eintritt und als über Nacht Freunde und Nachbarn zu Gegnern und Feinden wurden.

In England befiehlt in dieser Zeit der zuständige Minister Winston Churchill, zwei Kanonenboote auf dem See- und Landweg nach Afrika zum Tanganikasee zu bringen. Angeführt wird diese Expedition vom Commander Geoffrey Spicer Simson, einem Luftikus und Hallodri, einer Figur, die aus einem Roman von Charles Dickens stammen könnte. In ungeheurer Härte bricht der Krieg aus und jeder versucht, mit heiler Haut davon zu kommen.

“Eine Frage der Zeit” ist großartig recherchiert und wunderbar erzählt – ein wirkliches Lesevergnügen.


Genre: Romane
Illustrated by Knaus München

Weltende

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut
In allen Lüften hallt es wie Geschrei
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

Dieses Gedicht des genialen Jacob van Hoddis leitete im Januar 1911 die AKTIONSLYRIK ein, die heute als »expressionistische« Lyrik bezeichnet nennt. Ohne van Hoddis wären die meisten »fortschrittlichen« Lyriker unserer Tage undenkbar, meint der Expressionismus-Forscher Paul Raabe, der die wichtigsten Texte des Dichters in einem schmalen Band zusammengestellt hat.

Zwischen 1911 und 1918 wurden die Texte van Hoddis in verschiedenen zeit- und kulturkritischen Zeitschriften wie »Die Aktion«, »Der Sturm«, »Die Fackel«, »Revolution« und »Dada« publiziert. Dabei erschien das Titelgedicht »Weltende« erstmals am 11. Januar 1911 in der Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur, »Der Demokrat«. Das Gedicht ist in Inhalt und Stil das berühmteste des Dichters geblieben. In seiner ahnungsvollen Schilderung des Untergangs des Welt nimmt es den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vorweg und symbolisiert den Aufbruch der expressionistischen Lyrik seit 1910.

Der expressionistische Lyriker und spätere DDR-Kulturminister Johannes R. Becher schrieb 1957 dazu: »Diese zwei Strophen, o diese acht Zeilen schienen uns in andere Menschen verwandelt zu haben, emporgehoben zu haben aus einer Welt stumpfer Bürgerlichkeit, die wir verachteten und von der wir nicht wussten, wie wir sie verlassen sollten. Diese acht Zeilen entführten uns. Immer neue Schönheiten entdeckten wir in diesen acht Zeilen, wie sangen sie, wir summten sie, wir murmelten sie, wir pfiffen sie vor uns hin, wir gingen mit diesen acht Zeilen auf den Lippen in die Kirchen, und wir saßen, sie vor uns hin flüsternd, mit ihnen beim Radrennen. Wir riefen sie uns gegenseitig über die Strasse hinweg zu wie Losungen, wir saßen mit diesen acht Zeilen beieinander, frierend und hungernd, und sprachen sie gegenseitig vor uns hin, und Hunger und Kälte waren nicht mehr …«

Jakob van Hoddis wurde am 16. Mai 1887 als Hans Davidsohn in Berlin geboren. Nach einem abgebrochenen Architekturstudium an der TU Berlin studierte er Klassische Philologie in Jena und Altphilologie in Berlin. 1908 hielt er seine erste öffentliche Lesung und nahm dazu sein Pseudonym an. Aufgrund seines unsteten Gemütszustandes wurde er am 31.10.1912 zwangsweise in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, aus der er kurz darauf nach Paris entflieht. Wieder zurück in Deutschland, wo er am 25. April 1914 letztmalig öffentlich las, wurde der Kranke privat gepflegt und wanderte durch verschiedene Kliniken und Heilstätten.

Am 30. April 1942 wurde der Dichter von den Nazis deportiert und in einem Massenvernichtungslager in Polen ermordet. Sein genaues Todesdatum ist unbekannt.

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Genre: Lyrik
Illustrated by Arche Zürich

QQ

»Quiet quality«, abgekürzt »QQ«, ist ein amerikanischer Modebegriff und bedeutet so etwas wie »stille Güte«. Es will all das klammern, was nicht schreit und spritzt. Da Max Goldt das Ende seiner Tage in einem gepflegten Altenheim für betuchte Senioren verleben möchte, sieht er sich gezwungen, noch ein paar Jährchen zu schreien und zu spritzen. Dieser Tätigkeit geht der Autor bevorzugt im Satiremagazin »Titanic« nach. 21 seiner doppelseitigen stilbildenden Aufsätze sind in diesem Bändchen still und gut zusammen gefasst.

Goldts Sätze sind Sprachkunstwerke. Der Autor erzählt in locker-legerem Stil und mit einem satyrischen Funkeln in den Augenwinkeln kleine Geschichten aus dem Hier und Jetzt. Was assoziativ aneinander gereiht scheint, ist tatsächlich elegant konstruiert und bis in die letzte sprachliche Wendung ausgefeilt.

Ein fulminantes Feuerwerk ist sein Essay »Über Fernsehmusik«, mit dem der Sammelband eröffnet. Goldt beginnt mit der Rezension eines softlesbischen Mystery-Thrillers über zwei in lodernder Hassliebe verhedderten Frauen aus grauer Vorzeit, die sich in weiblicher Dramatik schlussendlich in einem keltischen Burgfried gegenseitig einmauern. Über diesen Einstieg schwenkt Goldt zur Autorin dieses historischen 800-Seiten-Schinkens, einer gewissen Heidi Würsel. Diese Dame steckt sämtliche Tantiemen aus ihrer literarischen Tätigkeit, die sie im vertrauten Kreis auch schon mal »Leseschrott für fette Frauen zusammenkloppen« nennt, in ihre heimliche Sehnsucht: das Restaurant »Schinkenkeller« auf der Insel Sylt.

In diesem Tempel des erlesenen Geschmacks trifft der Leser auch ihre Halbschwester, eine anerkannte Steingartenexpertin aus dem Hausfrauenfernsehen, die ihre Kohle in das Aufmöbeln alter Lamborghinis steckt und darin Erfüllung sucht. Auch sie steht kurz davor, als Buchautorin zu brillieren.

Gemeinsam ist den Damen ein Freund: der Fernsehkomponist Henner Larsfeld, ebenfalls Stammgast im »Schinkenkeller«. Dieser arbeitet, würde er danach gefragt – aber er wird es nicht – ausschließlich in seiner Küche und mixt dort Klangcocktails für unterschiedlichste Fernsehproduktionen. In dieser Kreativküche schrieb Larsfeld auch die Musik für die TV-Adaption des Würselschen Stoffes der eingemauert Schmachtenden. Wobei »schreiben« so verstanden sein will, dass er aus einer Sammlung von CDs mit Mönchschören und extrem verhallten Wummersounds einen Soundteppich knüpft, über den – unabhängig vom Genre – sämtliche der von ihm beschallten Fernsehfilme und Dokumentationen spazieren.

Auch Larsfeld versuchte einst, sich künstlerisch freizuschwimmen und verzichtete in einem ihm besonders geeigneten Fall auf die Chöre der Kuttenträger. Doch die zuständige TV-Redakteurin machte ihm schnell deutlich, dass dies doch gar nicht passe, und so griff der Meister, von einem »Warum nicht gleich so!« seiner Auftraggeberin angefeuert, wieder ins Mönchsarchiv.

Insofern lässt sich schon jetzt prophezeien, welche Fernsehmusik ertönen wird, wenn er den nächsten Würsel-Erfolg unterlegt, der bald über den Bildschirm flimmert und im übrigen erzählt, wie die beiden eingemauerten Frauen fünfhundert Jahre später aus ihrem Kokon ins Mittelalter entschlüpfen und sich dort wieder ihren heimlichen Leidenschaften widmen.


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Rowohlt

Interview mit einem Kannibalen

»Hi, ich bin Franky aus Deutschland. Ich suche nach jungen Männern zwischen achtzehn und dreißig Jahren zum Schlachten. Hast Du einen normal gebauten Körper, dann komme zu mir, ich schlachte dich und esse dein köstliches Fleisch«, schreibt »antrophagus« (das ist lateinisch und heißt »Menschenesser«) auf einer Kannibalen-Kontaktseite im Internet. Mehr als vierhundert Interessenten melden sich. Sechzig davon bieten sich als »Schlachtopfer« an. Weiterlesen


Genre: Dokumentation
Illustrated by Seeliger Wolfenbüttel

Riesenmaschine

»Das Neue Universum« war die literarische Leibspeise meiner Kindheit. Jeweils zum Jahresausklang erschien unter diesem Titel ein inhaltsschwerer Band mit Berichten aus Wissenschaft, Forschung und Abenteuer. Meine Augen leuchteten, wenn der Schinken unter dem Weihnachtsbaum prangte. Pfeilschnell zog ich mich in einen stillen Winkel zurück und verschlang atemlos, was die Autoren Faszinierendes aus Zeit und Raum berichteten.

Ende 2002 erschien mit Band 119 der letzte der 1880 begründeten Jugendbuchreihe. Die Lesegewohnheiten der Kids waren mittlerweile inkompatibel mit populärwissenschaftlichen Darstellungen in Enzyklopädien. Der Buchmarkt befand sich im Umbruch, das digitale Zeitalter fraß das gedruckte Wort, wirtschaftlicher Niedergang drohte den alt eingesessenen Buchverlegern.

Geschickt und clever sprang jedoch ein neues Medium in die frisch aufgerissene Lücke und füllte die Vakanz. »Das Beste aus dem brandneuen Universum« sollte geboten werden, und das neue Angebot nannte sich schlicht und bescheiden »Riesenmaschine«.

Riesenmaschine.de nutzt das Internet als Plattform und ist ein Gemeinschaftsprojekt. Seit Juni 2005 schreiben rund dreißig Autoren über das Thema Fortschritt in allen möglichen und unmöglichen Schattierungen. Alles, was sich in unserer Welt verändert, wird möglichst witzig und unterhaltsam thematisiert. Die Einträge drehen sich um Brotrand-Randgruppen, familientaugliche Entenmunition und nachts umherziehende Putzguerilla.

Mit vielen tausend Zugriffen pro Monat zählt die virtuelle Riesenmaschine mittlerweile zu den meistgelesenen deutschen Blogs. Die Texte gehören, so die Jury des Grimme Online Award, die 2006 zugunsten der digitalen Blog-Kommune zuschlug, »zum Formidabelsten und Unterhaltsamsten, das im deutschsprachigen Netz zu finden ist«. Seien es stapelbare Kinder, Wurst mit Wellnesskräutern und automatische Fische – die Riesenmaschinisten erklären innere Zusammenhänge unserer sich rasant wandelnden Welt.

Hundert der besten Einträge wurden nun in einem Taschenbuch versammelt und knüpfen damit zumindest der gedruckten Form nach an »Das Neue Universum« an. Dies geschieht auch optisch. Denn die Wort-Bild-Marke, unter der die Riesenmaschine hausiert, ist der auskopierte Teil einer Überschrift aus »Das Neue Universum« aus den späten 1950ern. Damals ging es um Grossgeneratoren, und die Überschrift lautete: »Riesenmaschinen stillen Stromhunger«.

In Buchform gibt es die Riesenmaschine damit auch als Vademecum für stromlose Zeiten, Ausflüge oder zum Studium des Blogosphäre. Mit seinem redaktionellen Motto »Keine Sozialgeräusche – Keine Befindlichkeiten – Kein Erlebnisschrott« kann das Werk durchaus Vorbild sein für jeden, der gern bloggt. Es bietet demjenigen Information und Lesevergnügen, der die Weiten der die Riesenmaschine im Überblick kennen lernen möchte. Kurzum, es ist seine 8,95 Euronen wirklich wert.

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Illustrated by Heyne München

Vincent

Mit »Vincent« seziert Joey Goebel die Popindustrie und zeigt auf, wie Stars und Sternchen in den Himmel geschossen werden und dort rasch verglühen: Harlan Eiffler bekommt den Job seines Leben: Ein millionenschwerer Medienunternehmer will als Krönung seines Lebens eine Nachwuchsakademie ins Leben rufen, um künstlerische Genies zu fördern. In deren Auftrag soll Harlan lediglich ein einziges Talent betreuen. Geld spielt dabei keine Rolle.
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Genre: Romane
Illustrated by Diogenes Zürich

Otherland 4 • Meer des silbernen Lichts

Der vierte und letzte Band der »Otherland«-Reihe reißt die auf der Suche nach den verlorenen Kindern befindlichen Gefährten vollständig auseinander und lässt sie in verschiedenen Simwelten wieder auftauchen. Sie erleben dort atemberaubende Verfolgungsjagden und hasten von einem lebensbedrohenden Abenteuer in Märchen- und Mythenwelten in die nächste Umgebung. Weiterlesen


Genre: Cyberspace-Saga, Fantasy, Science-fiction
Illustrated by Heyne München

Die italienischen Schuhe

Fredrik Welin, ein ehemaliger Arzt, hat sich vor vielen Jahren nach einem medizinischen Kunstfehler auf seine Schären-Insel zurückgezogen. Bei einer notwendigen Operation hatte er einer jungen Patientin den falschen Arm amputiert! Hier in der Einsamkeit teilt er sein Leben mit Hund und Katze und hat nur noch selten Kontakt mit der Außenwelt. Es scheint, dass er kein Interesse mehr am Leben hat. Das ändert sich schlagartig, als an einem eisigen Wintertag plötzlich seine Jugendliebe Harriet, die er vor vielen Jahren ohne Angabe von Gründen verlassen hat, scheinbar aus dem frostigen Nichts auf seiner Insel auftaucht.

Harriet, die schwer an Krebs erkrankt ist, bittet ihn um einen letzten Gefallen. Gemeinsam mit Fredrik möchte sie einen verwunschenen Waldteich aufsuchen, jenen Ort, von dem er ihr vor fast vierzig Jahren erzählt hatte. Nach anfänglicher Empörung über diese Ruhestörung und die Erinnerung an sein schändliches Verhalten in der Vergangenheit willigt er in den Plan ein und sie beginnen ihre gemeinsame Reise in den Norden des Landes. Dort erfährt er von Harriet, dass er eine Tochter hat. Louise, ihre gemeinsame Tochter, wohnt tief versteckt in den Wäldern Nordschwedens. Hier lernt er auch Freunde und Bekannte seiner Tochter kennen, unter anderem einen alten italienischen Schuhmachermeister, der vor dem lauten Leben der Städte Italiens in die Einsamkeit und Ruhe der Wälder geflohen war. Diese Reise in den Norden verändert Fredrik so sehr, dass er bereit ist, sein Leben zu überdenken und zu ändern.

H. Mankell hat ein interessantes Buch über das Älterwerden, die Einsamkeit und die verlorenen Momente des Lebens geschrieben und das in einer Anschaulichkeit, dass man bei der Lektüre zum Nachdenken über das eigene Leben angeregt wird.


Genre: Romane
Illustrated by Zsolnay München

Die dritte Jungfrau

Haben Katzen Knochen im Penis?

Die Autorin ist bestimmt nicht mehr nur in ihren Ferien aktiv, wie immer mal wieder über sie zu lesen ist. Fred Vargas mag zwar, weil sie in ihrem erlernten Beruf als Archäologin gewiss nicht ungern tätig war und die ersten Bücher sie bestimmt nicht reich machten, in den Anfängen ihre Karriere als Teilzeitliteratin begonnen haben. Die Qualität ihrer Bücher allerdings hat sich mit jeder Neuerscheinung signifikant gesteigert, was zum einen unzweifelhaft ihrem Talent zuzuschreiben ist, sich aber wohl auch – ganz irdisch – einer gewissen Steigerung der mit Schreiben verbrachten Arbeitszeit verdanken mag.
In ihrem neuesten Werk, „Die dritte Jungfrau“ hat sie eine weitere Sprosse in der Qualitätsleiter erklommen. Wobei dieses Bild wohl zu viel Mühe suggeriert. Die Erzählung kommt natürlich nicht – wie könnte sie auch, ob des Sujets – „leicht“ daher. Wohl aber freut sich die Leserin und der Leser über eine Flüssigkeit, die nichts mit Oberflächlichkeit zu tun hat. Fred Vargas entwickelt ihre Figuren ebenso behutsam wie dezidiert weiter: Den überaus komplizierten Charakter des Jean-Baptist Adamsberg wie die intelligente Schrulligkeit seiner Mitspieler, der Mitarbeiter der Pariser Sonderkommission des Morddezernats. Die Vargas macht ihre Lesegemeinde dabei zu Komplizen – und wer „leidet“ nicht mit, wenn die immer wieder von Adamsberg verlassene Geliebte nun von einem anderen Mitglied jenes Kommissariats „erobert“ wird? Wer unter den treuen Leserinnen und Lesern wird es nicht mal „zärtlich“ mal „merkwürdig“ berühren, wenn schon auf den ersten Seiten zu erfahren ist, dass Adamsberg mit eben jener Musikerin ein gemeinsames Kind hat – Adamsberg als Papa?
Kurz gesagt: Auch der neue Band in der im Grunde einen, langen Erzählung der Fred Vargas zieht sehr schnell und gekonnt in den Bann. Und neben der Raffinesse der Erzählkunst ist es (handelt es sich doch um nichts anderes als einen Kriminalroman) die Spannung, die sich mit dem Fortgang der Lektüre aufbaut.
Adamsberg hat es mit einer Mordserie zu tun, die zunächst weniger als Mord, denn als Fall unerlaubter Graböffnung und Leichenschändung in zwei Fällen daherkommt. Die Gräber zweier Jungfrauen werden von einer unbekannten Person geöffnet, den Leichen wird offensichtlich Haar abgeschnitten und schließlich werden die Gräber wieder geschlossen.
Beide Damen fanden ihren Tod in der Normandie. Die Polizei dort hatte sich mit der Aufklärung keine große Mühe gegeben, war dem ersten Anschein gefolgt und die Fälle als Selbstmord zu den Akten gelegt. Adamsberg wird im Laufe der Ermittlungen zusätzlich in abstruse Fälle von Wilderei verwickelt, lernt einiges über kirchliche, jahrhundertealte Heilversprechen und wird zudem in seine Kindheit zurückgeworfen. Alles gemeinsam spielt tatsächlich auch für den eigentlichen Fall eine Rolle und – versprochen – was die Auflösung betrifft, wird man wieder auf das Trefflichste in die Irre geführt. Ein Lesegenuss und ein Spaß der nur von einer Archäologin erfunden werden konnte – und nicht nur wegen der Grabschänderei.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Aufbau Taschenbuch Berlin

Die dunkle Botschaft des Verführers. Maresciallo Bonanno ringt um Fassung.

Wenn nach dem Siegeszug des Sizilianers Andrea Camilleri (nicht nur) auf dem deutschen Büchermarkt sein deutscher Verlag einen weiteren sizilianischen Autor vorstellt, der ebenfalls mit Kriminalromanen reüssieren will, dann ist jede Vorsicht nicht nur verständlich, sondern angezeigt. Nicht, dass der Versuch, auf der langen Welle des Erfolges ihres Autors Camilleri auch weiteren Autoren aus Sizilien eine Chance und dem Verlagshaus möglichst profitable Umsätze zu verschaffen verwerflich wäre – wenn denn die literarische Qualität mit der Intensität des Marketings mithält.

In der edition luebbe des Verlags Bastei-Lübbe aus Bergisch Gladbach erscheinen nicht nur die Romane des sizilianischen Ausnahmeautors Andrea Camilleri. Mittlerweile wurden dort auch zwei Romane von Roberto Mistretta veröffentlicht. Mistretta wird dem deutschen Publikum als Journalist und Autor von Kinderbüchern vorgestellt, dem es aber in den vergangenen Jahren in den Fingern juckte sich literarisch mit dem Verbrechen auseinanderzusetzen. Ergebnis ist eine auf Serie angelegte Romanfigur, ein Marescialo der Carabinieri namens Bonanno. Dieser lebt mit seiner Mutter und seiner 12jährigen Tochter, aber ohne seine geschiedene Frau, zusammen, raucht sich offenbar von Roman zu Roman die Lunge kaputt und – wen wundert´s – ist natürlich verfressen und jähzornig.

In dem vor wenigen Wochen erschienenen zweiten Buch schlägt sich Bonanno mit verschiedenen kriminellen Auswüchsen menschlicher Sexualität herum. Ein Gauner betreibt mit „Genehmigung“ des lokalen Mafia-Fürsten einen schwunghaften privaten Bordellbetrieb und wird direkt am Anfang der Geschichte, zunächst nicht nachvollziehbar, auf brutalste Weise zusammengeschlagen und dabei fast um sein Leben gebracht. Parallel zu dieser Geschichte um Prostitution, Korruption und Erpressung wird nach und nach eine zweite Geschichte erzählt, die weitaus düsterer, um ein Vielfaches schrecklicher und brutaler ist. Ein Ring von Pädophilen baut eine Bild-, und Filmdatei von Kinderpornographie auf. Das Material stellen sie durch eigenen Kindesmissbrauch selbst her. Beide Geschichten verstricken sich mit dem Fortgang der Erzählung immer mehr miteinander und am Ende gelingt dem braven Carabinieri sowohl die Einbuchtung des Mafiafürsten als auch die Zerschlagung des Kinderpornographieringes. So weit, so gut. Die Geschichten, die Mistretta erzählt, berühren beim Lesen ob ihrer Realitätstauglichkeit. Natürlich wird die Erzählung mit ihrem Fortgang immer spannender und kumuliert zu einem „Showdown“. Aber wie Mistretta die verschiedenen Ebenen miteinander verwebt, bzw. auf welche Weise er uns zum einen die Figuren vorgestellt werden (ein übelgelaunter, wenn auch engagierter und eigentlich herzensguter Carabinieri-Hauptmann; die schon von Camilleri´s Kommissar Montalbano bekannte Schar von mal dümmlich agierenden, mal leidend mitarbeitenden Mitstreitern) zum anderen die Geschichte des Kindesmissbrauchs thematisiert wird, erzeugt bei aller Spannung, ein zuweilen beklemmendes Gefühl. Das Thema wird nicht für einen „Reisser“ instrumentalisiert. Das ist gut so.

Mistretta und Camilleri stammen beide aus Sizilien. Camilleri residiert in einer anderen literarischen Liga als Mistretta. Das ist aber kein Makel, sondern eine Frage der Entwicklung. Camilleri ist im Spätherbst seines Lebens angekommen, hat eine reiche literarische und Lebenserfahrung. Mistretta ist gerade mal halb so alt. Also, nur zu! Wir sind gespannt auf weitere Geschichten.


Genre: Kriminalliteratur
Illustrated by Bastei Lübbe Bergisch Gladbach